"... er trägt sicher einen Maßanzug" – Kapriolen im Gehirn
Ich hatte die Gelegenheit bei einer Betriebsversammlung in einem Krankenhaus anwesend zu sein. Einer jener Betriebsversammlungen, wo die Geschäftsführung geplante Umstrukturierungen verlautbarte; emotionslos, faktenorientiert und dies mit schonungsloser Klarheit über die erforderlichen Kurskorrekturen.
Es wurde still im Konferenzraum und die Augen der Mitarbeiter blickten fragend auf das Podium. Und dann, ganz unvermittelt, flüstert ein Mitarbeiter neben mir, dem Anderen ins Ohr: „Der trägt sicher einen Maßanzug“. „Na klar – und hast du die Socken gesehen? Orange!“, antwortete der andere Mitarbeiter. Nach 40 Minuten war die Veranstaltung beendet und am Weg hinaus aus dem Konferenzraum konnte ich Sätze aufschnappen wie: „hatten wir das alles nicht schon mal?“, und: „da hatte wieder mal wer gute Ideen“.
Ein paar Minuten später stand ich vor dem Geschäftsführer.
„Ist doch wirklich gut gelaufen, ganz ruhig und es hat nicht mal viele Fragen gegeben, die Message dürfte wirklich rübergekommen sein“.
Es ist nicht so, dass die Mitarbeiten nicht sehr aufmerksam zugehört hatten, nein ganz im Gegenteil. Es gab auch kein sprachliches Hindernis – viel mehr sind es Kapriolen im Gehirn. Obwohl viel über Veränderungen geschrieben worden ist, geben uns die Neurowissenschaften in den letzten Jahren viele konkrete und fundierte Antworten darüber, wie Menschen in überraschenden oder negativen Situationen reagieren.
Ein Aspekt sind die Trägheitsmechanismen im Gehirn. Hier ein paar Informationen, damit Sie wirklich besser „rüberkommen“:
- Zukünftiges und Abstraktes kann unser Gehirn nicht ausreichend prozessieren. Ein Beispiel – Sie werden sich nicht vorstellen können wie eine Speise schmeckt, die sie noch nie gegessen haben.
- Filtersysteme im Gehirn verursachen, dass unangenehme Nachrichten ausgeblendet werden. Ein Beispiel – eine Kündigungswelle steht bevor. Die Betroffen glauben bis zuletzt nicht dabei zu sein.
- Ziele, die negativ formuliert sind, Ziele, die diffus formuliert sind und Ziele, die nicht vorstellbar sind, werden ebenfalls ausgefiltert. Beispiele – „denken sie NICHT an ...“, „man sollte in Zukunft ...“.
Wenn Sie dann auch wissen, dass unser Gehirn ein absoluter Energiesparer ist und „auf nun mal sicher“ geht, dann ist es verständlich, warum auch nach vielen Turbulenzen und Anstrengungen, oft alles so bleibt, wie es war. Denn über die Ebene des Verstandes (Präfrontaler Cortex) siegen die unteren Ebenen (Limbisches System, Sitz der Emotionen).
Es ist an der Zeit, alte Gebrauchsanweisungen zum Thema Führungsstile, die nach wie vor auf Führungsakademien propagiert werden, neu zu überdenken. Gehen Sie davon aus, dass der Normalfall fast immer das Missverständnis ist. Chancenreicher ist es, sich dem Menschen zuzuwenden, um die gewünschten Unternehmenserfolge zu lukrieren.
Es gibt für erfolgreiche Führung, für das Lösen komplexer Aufgaben und das Managen von Konflikten neue und wissenschaftlich fundierte Ansätze, die die Neurowissenschaften anbieten. Auf das mittlere Management kommt da eine wesentliche neue Rolle zu – deshalb lohnt es sich bereits jetzt, sich damit auseinanderzusetzen.